DDR – drei Buchstaben, die mit so vielen Emotionen verbunden, mir fremd und doch so vertraut sind.
Deutsche Demokratische Republik.
Ich wurde in einem Land geboren, welches nicht mehr existiert. Seit 25 Jahren. Nicht viele Menschen können dies von sich behaupten. Ich bin der letzte Teil einer Generation, die keinerlei Erinnerung an ihrem Geburtsland hat. Erich’s lost generation. Ich habe mein Geburtsland allein durch die Erzählungen und Erinnerungen meiner Familie kennengelernt. Durch Fotos, meinem Helden Pittiplatsch, Reportagen im Fernsehen und gefüllten Geschichtsbüchern nahmen sie Gestalt an. Ich kann mich an den Moment, als mir zum ersten Mal wirklich bewusst wurde, dass ich in der DDR geboren war, nicht erinnern. Wie auch, denn eigentlich bin ich mehr mit dem Geist der DDR als in der gegenwärtigen BRD aufgewachsen. Bis auf die Tatsache, dass man nicht mehr von Zäunen umgeben und wie Tiere eingesperrt war, sondern reisen konnte, wohin man wollte. Ganz langsam, Schritt für Schritt und über Jahre hinweg, machte sich der Geist der DDR rar und trat den Rückzug an. Komplett verschwunden ist er jedoch bis heute nicht. “Es stört mich, dass Leute “ehemalige DDR” sagen, als hätte sie nicht existiert!”, ist mein Vater der Ansicht. Ich stimme ihm zu. Die DDR hat am 9.11.1989 Geschichte geschrieben. Dies tat sie über vierzig Jahre lang, an diesem Abend wurde sie jedoch besiegelt. Geschichte wird erst mit dem letzten Kapitel, dem einschlagenden Ende und final gesetztem Punkt geschrieben. Tief in das Bewusstsein all derer hat sie sich eingebrannt, die dabei waren und diesen unvergesslichen Tag miterlebt und gelebt haben. Das endlose Kapitel einer vierzigjährigen kommunistischen Diktatur fand sein Ende.
“Es war nicht alles damals schlecht!”, höre ich meine Eltern oft sagen und weiß, was sie damit meinen. In einem Land zu leben, welches seine Bürger auf menschenunwürdige Art und Weise davon abhält die Grenzen zu überschreiten, um das auzumerzen, was in uns steckt, lehrt und am Leben hält: Neugier, die mit Freiheit verbunden Hand in Hand gehen sollte, um die Welt zu entdecken, zu erforschen und zu erobern. Ein Land, dass einem vorschreibt, wie man sein Leben zu leben hat, wie und was man denkt und welche politischen Ansichten man haben muss. Mitmarschieren. Um jeden Preis. Wie Marionetten, die vom Staat ferngesteuert werden. Wer einen Schritt zu viel, zu wenig oder in eine andere Richtung wagt, wird aus dem Weg geschafft. Freiheitsliebende Querdenker sind unerwünscht. All diese Dinge haben meine Eltern ganz gewiss nicht vermisst und würden diesen auch niemals nachtrauern. Wie schrecklich es sein muss, wenn es einem nach Freiheit, fernen Ländern, Levi’s Jeans, Coca Cola und den Rolling Stones dürstet, man all diese Wünsche größtenteils nur in seinen Träumen verwirklichen kann, mag ich mir nicht vorstellen. Mein Leben hätte keinen Sinn, würde mir die Musik und das Reisen genommen oder brutal verwehrt! Doch wie kann es dein Leben bestimmen, wenn man es nie kannte und nur ein Wunsch ist, der einfach nicht in Erfüllung zu gehen scheint? Es ist die Saat, die Verzweiflung, Wut und anschließend Hass streut.
Was jedoch den Zusammenhalt, Kollegialität und freundliches Miteinander betrifft, fehlt ihnen sehr. “Wir leben in einer Ellenbogengesellschaft und es wird immer schlimmer.”, sagt mein Vater. Man lernt Werte zu schätzen, wenn diese nicht mehr vorhanden sind. Meiner Mutter bereitet das heutige Schulsystem Deutschlands am meisten Bauchschmerzen. “Früher war das alles anders. Man musste sich von keinem Lehrer anhören, dass es ihnen egal ist, ob man was lernt oder nicht, da sie ihr Geld am Ende des Monats so oder so bekommen!”. Diesen Satz habe ich mit meinen eigenen Ohren des Öfteren aus dem Munde eines Lehrers gehört und empfand es immer wieder als erschreckend. In meiner Grundschulzeit habe ich gelernt meine Lehrerin als Respektperson zu sehen. Sie war für uns wie eine zweite Mutter, die uns die wichtigsten Dinge im Leben beigebracht hat, fernab vom ABC. Zusammenhalt, freundliches Miteinander und Respekt. Menschliche Werte eben. Diese gingen während meiner weiteren Schulzeit mehr und mehr verloren, bis ich sie komplett aus den Augen verloren und vergeblich gesucht habe. Abgesehen davon, dass die Schüler der DDR in die sozialistische Gesellschaft integriert wurden und Andersdenkende nicht toleriert werden sollten, Linkshänder dazu gezwungen wurden mit der rechten Hand zu schreiben (zu welchen ich damals auch gehört hätte!), war meiner Mutter wichtig, dass Lehrern den Schülern etwas beibringen und diese es auch verstehen und nicht im Stich gelassen werden, sollte dem nicht so sein. Mein absolutes Problemfach Nummer eins war schon immer Mathematik. Was in der Grundschule noch kein Problem darstellte, nahm ab der 5. Klasse in der Sekundarschule eine dramatische Wendung. Wie ein roter Faden zog sich mein steigender Hass für die Mathematik durch meine restliche Schulzeit und erreichte in der 9. Klasse ihren Höhepunkt. Note 5! Schlimmer konnte es kaum noch werden (“Oh Gott, bitte keine 6!”). Auf die Hilfe meiner Lehrer konnte ich verzichten. Diese hatten mich schon lange aufgegeben. Und wie soll man daran glauben, dass man es schaffen kann, wenn diese einen schon aufgegeben haben? Vielleicht wäre das in der DDR anders gewesen. Vielleicht aber auch nicht.
Wenn es etwas gibt, wofür ich sofort ein Vermögen bezahlen würde, wenn es möglich wäre, dann wäre es eine Zeitreise zurück an den Abend, der alles veränderte: 09.11.1989! Jubelnde und vor Freude weinende Menschen und David Hasselhoff (oh ja!!!), der wahrhaftig glaubte, dass er der Auslöser für den Mauerfall war (hat ihm wahrschenlich Jack Daniel’s zugeflüstert…) und mit seiner leuchtenden Lederjacke und einem Klaviertastenschal feucht und fröhlich “I’ve been looking for freedom” sang! Dieser Anblick hatte sich förmlich in mein Gedächtnis gebrannt! Wenn das mal nicht mit Abstand die Party des Jahrtausends gewesen ist! Was würde ich dafür geben, die Gesichter meiner Eltern zu sehen, als sich dieser eine Gedanke ganz langsam aber mit voller Wucht in ihr Bewusstsein schlich: “Endlich!”. Was würde ich dafür geben, die Gefühlswelt meines Vaters zu erkunden, als er das erste Mal mit zwei Kollegen im Lada durch Hamburg fährt (man hatte zur Sicherheit dann doch den “DDR” Sticker entfernt) und Freundschaft mit einem Hamburger Jung schließt, die bis heute noch währt. Tja und meine Mutter musste gezwungenermaßen mit mir zu Hause bleiben, obwohl mein Vater auf sie warten wollte. Sie war wütend, er egoistisch. Geblieben sind Erinnerungen eines unvergesslichen Abends, der mit dem Besuch einer Piep Show auf der Reeperbahn, 1.000.000 Million neuer Eindrücke und Teil vom Beginn einer neuen Zukunft war.
Willkommen im Westen!